Der Zollstock – mehr als nur ein Stück Holz
Ob Schreiner, Maler, Elektriker oder Azubi im ersten Lehrjahr: Kaum ein Werkzeug ist so fest mit dem Handwerk verbunden wie der Zollstock – oder korrekt gesagt: der Gliedermaßstab. Oft in der Hosentasche, schnell einsatzbereit und nicht selten auch Werbeträger, auch Flaschenöffner oder alternatives Werkzeug, wenn mal etwas improvisiert werden muss. Doch woher stammt dieses praktische Werkzeug, diese Messtechnik eigentlich? Und wie hat es sich im Laufe der Zeit entwickelt?
Ursprünge: Messen seit der Antike
Schon die alten Ägypter und Römer nutzten Längenmaße wie Elle, Fuß oder Schrittmaß. Allerdings waren diese Maße oft von Körperproportionen abhängig – wenig präzise, kaum einheitlich. Auch in der römischen Antike gab es faltbare Messstäbe aus Bronze oder Messing – ein Beispiel wurde zum Beispiel in Pompeji gefunden.
Erst mit dem Aufkommen des metrischen Systems im 18. und 19. Jahrhundert begann eine Vereinheitlichung, die den Weg für moderne Messwerkzeuge ebnete.
Die Geburt des Zollstocks – ein Meilenstein im 19. Jahrhundert
1851 erfand Anton Ullrich aus Maikammer gemeinsam mit seinem Bruder Franz den Gliedermaßstab in moderner Falzform – das erste Modell mit klappbarem Gelenk. 1886 dann meldeten sie das Patent für das Federgelenk an – der entscheidende Mechanismus, der den Maßstab stabil und faltbar machte. Präsentiert wurde das Gelenk konzipierte Modell 1889 auf der Weltausstellung in Paris mit großem Erfolg.
Der eigentliche Gliedermaßstab, wie wir ihn heute kennen, wurde 1886 vom schwäbischen Erfinder Friedrich Wilhelm Keuffel entwickelt – er gilt als einer der Pioniere im Bau faltbarer Messstäbe. Die ersten Modelle bestanden aus Holz und wurden durch Messing- oder Stahlfedern zusammengehalten.
Wichtig: Der Name „Zollstock“ stammt aus der Zeit, als Maßeinheiten wie der Zoll (2,54 cm) in Europa noch verbreitet waren. Heute ist der Begriff zwar immer noch geläufig, doch fast alle modernen Gliedermaßstäbe sind auf das metrische System geeicht.
historischen Zollstocks (um 1880–1900)
Von Holz zu Hightech – die Materialentwicklung
Früher war der klassische Zollstock meist aus Buchenholz gefertigt – robust, elastisch, aber auch empfindlich gegenüber Feuchtigkeit und Hitze.
Herstellung früher Modelle
Materialien
Ursprünglich aus fein geschliffenem Boxwood‑Holz, das dicht und formstabil ist – ideal für exakte Skalen .
Auch Varianten aus Elfenbein, Bein oder exotischem Holz wurden gefertigt – mit Nickel-Silber (German silver) als Beschläge .
Produktionsschritte
Holzauswahl & Lagerung: Holz wird in dünne Lamellen geschnitten und über 18 Monate gelagert, damit sich Spannungen abbauen .
Erster Lackauftrag, anschließend Ausräumen der Gelenk-Nut.
Skalendruck: Millimeter- oder Zolleinteilung aufgedruckt.
Montage der Federgelenke, Nieten und Formbearbeitung an den Enden.
Zweiter Lack für Schutz und Optik – danach erfolgt die Qualitätskontrolle und der Versand
Heute gibt es Varianten aus:
Kunststoff – leicht, wetterfest, biegsam
Metall – extrem robust, z. B. für Maurer oder Schlosser
Fiberglas oder Carbon – ideal für präzise Messungen unter extremen Bedingungen
Auch die Gelenke wurden weiterentwickelt: von einfachen Blechfedern zu langlebigen Hochleistungsfedern mit definierten Rastwinkeln.
Die Technik dahinter – mehr als nur Klappen
Ein moderner Gliedermaßstab ist präzise konstruiert:
Längen: Meist 2 Meter, manchmal auch 1 m oder 3 m
Teilung: Millimetergenau, oft beidseitig bedruckt
Gelenke: rastend bei 90°, 180° – für exakte Winkelmessung
Toleranzen: DIN-geprüft (z. B. nach DIN 862 oder MID-Richtlinie)
Der Zollstock als Kultobjekt – Symbol des Handwerks
Der Gliedermaßstab ist längst mehr als nur Werkzeug, besser gesagt ein Messwerkzeughistorischer – er ist ein Markenzeichen der Handwerkskultur. Wer einen Zollstock in der Tasche hat, zeigt: Ich bin vom Fach. Deshalb nutzen viele Betriebe den Maßstab auch als Werbeträger mit Logo und Kontaktdaten.
Für viele Azubis gehört der erste eigene Zollstock zum Start der Ausbildung – fast schon ein Ritual.
Digitales Messen: Bedroht der Laser den Zollstock?
In Zeiten von Lasermessgeräten und digitalen Tools könnte man meinen, der gute alte Zollstock sei überflüssig geworden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Kein anderes Werkzeug ist so schnell griffbereit, unkompliziert zu bedienen und universell einsetzbar wie der Gliedermaßstab.
Zwar sind Laser und Apps ideal für größere Distanzen oder komplexe Flächenberechnungen – doch auf der Baustelle bleibt der Zollstock oft unersetzlich.
Pflege & Tipps: So bleibt dein Zollstock einsatzbereit
Damit dein Gliedermaßstab lange hält:
Nicht als Hebel oder Hammer verwenden
Gelenke regelmäßig ölen (bei Holzausführungen)
Vor Feuchtigkeit schützen
Nie überdrehen – Bruchgefahr!
Zollstock-Sammler & Community – ein unterschätztes Hobby mit Geschichte
Was für den Handwerker ein Alltagswerkzeug und alltägliches Messwerkzeug ist, wird für andere zur Leidenschaft: Der Zollstock ist längst zum begehrten Sammelobjekt geworden. Besonders alte Modelle mit historischen Werbeaufdrucken, seltenen Maßsystemen oder ausgefallenen Materialien sind unter Sammlern heiß begehrt.
Eine Szene mit Herz und Geschichte
In Deutschland gibt es eine kleine, aber leidenschaftliche Community von Zollstock-Sammlern, die sich online und bei Flohmärkten austauscht.
Besonders beliebt sind Modelle aus den 1950er- bis 1980er-Jahren – etwa mit Logos von alten Handwerksbetrieben, Baufirmen oder alten bzw. längst verschwundenen Marken.
Einige Sammler führen regelrechte Zollstock-Museen in Garagen oder Werkstätten – mit tausenden Einzelstücken.
Auch Fehlproduktionen, besonders lange Exemplare (z. B. 3m statt 2m) oder Zollstöcke mit Fehldruck sind begehrte Raritäten.
Digital vernetzt
In Foren, Facebook-Gruppen oder über Kleinanzeigen tauschen sich Sammler aus – oft mit viel Fachwissen über Drucktechniken, Materialarten oder Herstellerhistorien. Beliebte Plattformen für Tausch & Verkauf sind:
eBay Kleinanzeigen
Sammlerforen (z. B. werkzeugforum.de)
Facebook-Gruppen wie „Zollstock-Sammler Deutschland“
Für viele ist das Sammeln mehr als Nostalgie – es ist ein Stück gelebte Handwerkskultur. Und wer weiß? Vielleicht beginnt die Leidenschaft mit dem eigenen ersten Werbezollstock aus der Lehre.
Fazit: Der Zollstock bleibt ein Muss im Handwerk
Auch im Zeitalter von Digitalisierung und Smart Tools ist der Gliedermaßstab ein Werkzeug mit Zukunft. Seine Mischung aus Tradition, Praktikabilität und Präzision macht ihn zum treuen Begleiter auf jeder Baustelle – vom ersten Azubi-Tag bis zum Meistertitel.
Quellenangaben
- Wikipedia – Zollstock (Gliedermaßstab)
- Wikipedia – Stabila (Unternehmen)
- Wikipedia – Anton Ullrich
- Bauer Maßstabfabrik – Wissenswertes zum Zollstock
- Bauer Maßstabfabrik – Markierungen & DIN
- Keson – The History of Measuring Tools
- Wochenblatt-Reporter – Die Erfindung des Zollstocks
- Woodworker’s Institute – Collector’s Guide to Rules
- Matheson Tools – Folding Rulers Part I
- Schweizermeter – Wann wurde der Zollstock erfunden?

